Familie heute bedeutet:

Familie versteht sich heute grundsätzlich nur unter Pandemiebedingungen. Familie heute ist kaum noch zu vergleichen mit Familie vor dem März 2020. Eine Bereitschaft in der breiten Bevölkerung für harte Maßnahmen war im Herbst 2020 wohl noch nicht gegeben. Der zweite harte Lockdown ereilt uns. Kinder und Schüler finden sich zuhause wieder. Aber U-Bahnen und Großraumbüros sind mehr oder weniger voll und Dienstberatungen finden heute häufiger analog statt, als noch im Frühjahr. Die Wirtschaft darf nicht einbrechen. Systemrelevant ist, was systemrelevant ist. Und was systemrelevant ist, muss geschützt werden. Okay.

Ist Familie systemrelevant? Sind Kinder und Jugendliche, sind Schulen und Kitas, sind Eltern systemrelevant? Wo bewegt sich unter dieser systemrelevanten Blase nun Familie? Wie läuft es hier unter Pandemie-Bedingungen?

Erstens: Die Kinder sind zuhause und nicht in der Kita. Sie brauchen eine liebevolle Betreuung. Und diese Betreuung muss bewusst und liebevoll sein, um den natürlichen Lern- und Entwicklungsprozessen der kleinsten Menschen unter uns nicht im Wege zu stehen. Diese Zeit ist existenzrelevant. Der gesellschaftliche Druck, um im Heute ein gutes Lebens führen zu können, macht notwendig, dass diese frühe Zeit im Leben eines Menschen nicht behindert wird. Der Umgang mit unseren kleinen Menschen ist für sie existenzrelevant. Also ein Vollzeitjob für die Eltern.

Zweitens: Homeoffice prägt das Arbeitsbild der meisten Eltern. Viele müssen nun also von zuhause aus ihre Familie ernähren. Heute sind aber oft beide Elternteile willige Arbeitnehmer und Ernährer. Oft sind auch beide Einkommen für die Familie notwendig, also existenzrelevant. Zusammengenommen irgendwas zwischen mindestens einem und zwei Vollzeitjobs.

Drittens: Die Schulkinder befinden sich im schulischen Homeoffice. Und dieses ist für diese jungen Menschen ebenso – existenzrelevant. Um im Heute Fuß fassen zu können, braucht der Mensch schulische Bildung. Obwohl Bildung viel vielfältiger ist und auf so viele andere Weisen stattfindet und an so vielen anderen Orten und (Tages-)Zeiten erfolgt, braucht der junge Mensch von heute existenziell seine Schule. Und das nicht ausschließlich digital. Er braucht sie physisch. Er braucht den echten Menschen „Lehrer“ vor sich und die echten Menschen „Mitschüler“ und „Freunde“ bei sich. – Das hat er nun aber nicht. Den Schüler-Vollzeitjob soll der Schüler in seinem Kämmerlein erledigen. Kennt jemand jemanden, der jemanden kennt, der das ohne zu zucken genauso wie er soll, ohne Verluste erfolgreich durchzieht? … Der in sein Kämmerlein geschickte Mensch braucht, um einigermaßen am Ball bleiben zu können, Motivation, Spaß, Willen, Gemeinschaft, ein Korrektiv, Anleitung und Auseinandersetzung, um die Ziele der vollen Lehrpläne halbwegs erreichen zu können. Und in vielen Familien ist es nicht nur ein junger Mensch mit Homeoffice. Oft sind es mehrere. Wer bekommt wann den Laptop? Wer kann wann überhaupt an einer Videokonferenz teilnehmen? Wer kann in dieser Situation überhaupt diese Bedarfe versuchen zu bedienen und Orga-Fragen klären? Der Schüler-Vollzeitjob wird zum Kooperationsprojekt zwischen Kind(ern) und Eltern.

Und jetzt die ganz einfache Rechnung:

1 Vollzeitjob Kinderbetreuung

+     2 Vollzeitjobs Homeoffice zweier Erziehungsberechtigter

+     1 Vollzeitjob für das Kooperationsprojekt Schule                 

=     4 Vollzeitjobs für ca. zwei Erziehungsberechtigte.

Das ist die Realität für die Familie von heute.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich ab dem 11.01.2021 nicht mehr zwei Haushalte treffen dürfen, bei denen die unter 14-Jährigen nicht gewertet werden, sondern dass nur noch eine einzelne Person einen anderen Haushalt besuchen darf. Mütter oder Väter, die in ihrem Corona-Dilemma alleine sind, sind demnach isoliert. Die Uroma, die nicht mehr alleine außer Haus gehen kann und weitgehend alleine ist, dürfte theoretisch Besuche abstatten. Die Familie, der zuhause die Decke auf den Kopf fällt und die helfen will, wäre zur Uroma illegal unterwegs, obwohl sie seit Wochen ganz gemeinschaftlich weitestgehend kontaktlos blieb.

Auch die Belastbarkeit von Eltern und Kindern nimmt zusehend ab. Nach dem ersten Lockdown und trotz des Pandemie-Sommerlochs sind nur noch wenige Körner übrig. Die Nerven liegen zunehmend blank.

Wo sind die coronakonformen Ideen für Familien mit ihren existenzrelevanten Themen? Statt tragfähige Lösungen zu finden, ist in 2020 etwas anderes erreicht worden: Die Problemlösung für existenzrelevante Fragen musste stets innerhalb der Familie gefunden werden. Denn ihre Sorgen sind leider nicht systemrelevant. Quo vadis familia?

Lest zur aktuellen Situation für Familien und zu alternativen Vorschlägen:

Corona & Eltern: „Brauchen das Gefühl, dass es Plan für Familien gibt“ – WELT

Corona Krise für Familien: Darum sind viele Eltern so wütend | STERN.de